Leben und Wirken des Ferdinand Schrey
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Leben und Wirken des Ferdinand Schrey
 
von
 
 
Rudi Bauer, Straubing
 
 
 
Abschlussreferat der Gedenkveranstaltung vom 14. bis 16. Juli 2000 in Berlin anlässlich der 150. Wiederkehr des Geburtstages von Ferdinand Schrey am 19. Juli 2000
 
Schirmherrschaft der Gedenkveranstaltung:
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen
 
 
 
Das Leben Ferdinand Schreys
 
Ferdinand Schrey wurde am 19. Juli 1850 in Elberfeld, das heute ein Stadtteil von Wuppertal ist und zum Bundesland Nordrhein-Westfalen gehört, geboren. Die Stadt Wuppertal ist übrigens erst 1929 durch den Zusammenschluss der Städte Barmen und Elberfeld mit anderen Gemeinden entstanden. Im Gegensatz zu beiden Großvätern, die sehr angesehene und wohlhabende Bürger in Elberfeld waren, war sein Vater äußerst arm. Als Angestellter, in manchen Quellen ist auch von Lagerarbeiter die Rede, hatte er ein sehr geringes Einkommen. Dennoch hatte Ferdinand eine glückliche Jugend. Er verbrachte diese auf einem Gut in einem großen Haus, in dem ungefähr ein Dutzend Familien lebten. Alle diese Familien bildeten miteinander eine eng befreundete Gemeinschaft. Als Ferdinand 12 Jahre alt war, starb seine Mutter. Daraufhin wurde er von einem Onkel adoptiert. Mit 13 Jahren verlor Ferdinand auch noch den Vater. Sein Onkel musste dann auch noch seine weiteren drei Geschwister aufnehmen und versorgen. Er konnte dadurch Ferdinands Wunsch nicht nachkommen, eine höhere Schule zu besuchen oder Lehrer zu werden.
 
Mit 14 Jahren begann Ferdinand, obwohl es nicht seiner Neigung entsprach, eine Lehre bei einer kleinen Bank. Während seiner Tätigkeit als Banklehrling, die damals vier Jahre umfasste, bildete er sich mit größtem Eifer in Fremdsprachen durch Selbststudium. Wegen seiner guten Sprachkenntnisse konnte Ferdinand Schrey nach dem Ende seiner Lehrzeit eine Stelle als Korrespondent für Englisch und Französisch annehmen. Beim Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 meldete er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst und nahm auch an der Belagerung von Paris teil. Nach Beendigung seiner Dienstzeit folgte eine siebenjährige Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter in der Exportabteilung einer Fabrik in Barmen. 1881 trat Schrey als Teilhaber in eine Barmer Knopffabrik ein, deren alleiniger Besitzer er später wurde.
 
Weil Ferdinand Schrey als einer der ersten in Deutschland die Bedeutung der Schreibmaschinen erkannte, übernahm er 1885 so nebenher den Vertrieb der amerikanischen Schreibmaschine „Hammond“. Der Erfinder übertrug ihm die Alleinverkaufsrechte für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die „Hammond“ wurde in den USA seit 1891 serienmäßig hergestellt und hatte als Typenträger ein halbkreisförmiges drehbares Typenschiffchen. Die Maschine war sehr einfach zu bedienen und wies eine sichtbare Schrift auf, was in der damaligen Zeit noch selten war. In Deutschland wurden zum Zeitpunkt der Übernahme der Generalagentur durch Schrey mit Ausnahme der „Hammonia“ die seit 1882 produziert wurde und sehr umständlich zu bedienen war, noch keine Schreibmaschinen gebaut.
 
Bald darauf eröffnete Schrey in Barmen auch eine Privatschule, in der männliche und weibliche Schüler in Kurzschrift und Maschinenschreiben unterrichtet wurden. Es war die erste deutsche Ausbildungsstätte für beide Fächer zusammen. Schrey erkannte sehr frühzeitig die Verbindung zwischen Maschinenschreiben und Stenographie und prägte auch den Begriff „Stenotypist“. Er schuf somit auch gleichzeitig den damals neuen Beruf des Stenotypisten.
 
Im Jahre 1891 gab Ferdinand Schrey die Knopffabrik auf und verlegte seinen Wohnsitz, sein Geschäft für Schreibmaschinen und Bürobedarf sowie sein „Ausbildungsinstitut für Geschäftsstenographen und Typenkorrespondenten“ nach Berlin, weil er von dort aus in geschäftlicher Hinsicht unter günstigeren Bedingungen arbeiten konnte. Schrey war ein sehr geschäftstüchtiger Kaufmann und erwarb sich mit Hilfe der Stenographie – er hatte bereits in Barmen auch einen Verlag für stenographische Literatur gegründet – und der Schreibmaschine ein ansehnliches Vermögen. Dieses zerrann allerdings in der Inflation 1922/23. Er verlor sein in jahrelanger Arbeit erworbenes Vermögen.
 
Schreys umfassende kaufmännische Ausbildung führte ihn dazu, ein System der doppelten Buchhaltung auszuarbeiten. Er interessierte sich auch sehr für Literatur, Philosophie und Musik. Längere Zeit war er Musikrezensent einer Tageszeitung, d. h., er besprach kritisch in bestimmten Zeitungsartikeln musikalische Aufführungen. Großen Anteil nahm er auch an der Ausbildung seiner jüngsten Tochter zur Sängerin. Insgesamt hatte er vier Töchter und einen Sohn.
 
Als Erholung liebte Schrey die körperliche Betätigung. Er war ein begeisterter Bergwanderer. Auch lehnte er jeden Alkoholgenuss ab und war erklärter Nichtraucher. In seinen Veröffentlichungen trat er für lebensreformerische Gedanken ein. Eine andere Form der Entspannung war für ihn auch das Schachspiel, mit dem er sich so ernsthaft befasste, dass er als sehr guter Spieler galt.
 
Im Jahre 1918 machten sich die Anfänge einer schweren Erkrankung bemerkbar, die ihn während der letzten zehn Jahre fast völlig ans Bett fesselten. Aber sein Geist blieb ungebrochen. Am 2. Oktober des Jahres 1938 verstarb Schrey hochbetagt mit 88 Jahren in Berlin.
 
 
Ferdinand Schreys Wirken auf stenografischem Gebiet
 
Als Ferdinand Schrey während seiner Tätigkeit in der Exportabteilung seiner Fabrik in Barmen einen Mitarbeiter bei einer Versammlung stenografieren sah, wurde er erstmals auf die Stenographie aufmerksam. Ihm kam der Gedanke, sich durch die Beherrschung der Kurzschrift noch nützlicher machen zu können. Deshalb machte er seinem Freund den Vorschlag, zusammen die Stenographie im Selbstunterricht zu erlernen. Bei der Frage nach der Wahl des Systems hatte ihm der auf der Versammlung stenographierende Mitarbeiter zwar das System Stolze empfohlen, jedoch entschied sich Schrey für Gabelsberger. Schon nach dem ersten Abend des Selbststudiums – es war im August 1874 – fesselte ihn die Stenographie so sehr, dass er alle anderen Nebentätigkeiten wie Klavierspielen, Gesang und die Beschäftigung mit Fremdsprachen unterbrach. Schon ab 5 Uhr verbrachte er seine ganze Freizeit damit. Bereits nach zwei Wochen konnte er nach dem System Gabelsberger schreiben und lesen. Kurz darauf war er in der Lage, die neue Schrift auch im geschäftlichen Bereich zu benutzen.
 
Im November 1874, also nur ein paar Monate nach seiner ersten Unterrichtsstunde, nahm er erstmalig an einem Übungsabend des Gabelsbergerschen Stenographenvereins in Elberfeld teil. Bei den Übungen merkte er sofort, dass er mehr konnte als irgendeiner der übrigen Teilnehmer. Bereits am 19. November 1874 wurde Schrey als Vereinsmitglied aufgenommen. Ein paar Tage später, am 22. November, nahm er bereits im Bildungsverein einen Vortrag eines berühmten Forschers und Professors von eineinhalb Stunden Dauer auf mit dem Thema „Kalifornien und die dort lebenden Chinesen“. Da der Professor schneller als 200/220 Silben in der Minute – Schreys damalige Fertigkeit – sprach, konnte er den Vortrag noch nicht völlig lückenlos mitschreiben. Beim Vergleich mit erfahrenen Praktikern des Vereins, die den Vortrag ebenfalls mitstenographiert hatten, stellte sich heraus, dass diese noch mehr Lücken hatten. Bald konnte Schrey jedoch allen Vorträgen wortwörtlich folgen, da er massenhaft Texte in Redeschrift übertragen hatte und sich fleißig von seiner Tante diktieren ließ.
 
Wenige Monate nach dem Eintritt in den Stenographenverein wurde Schrey Schriftführer und erteilte auch Unterricht in den Vereinen Elberfeld und Barmen. Von 1875 an wurde die stenographische Praxis für ihn besonders umfangreich. Er nahm die Verhandlungen der Elberfelder Stadtverordnetenversammlung auf sowie die Verhandlungen zahlreicher anderer Vereinigungen. Der Schriftleiter der Elberfelder Tageszeitung, Dr. Eugen Gantter, selbst ein sehr eifriger Stenograph und Praktiker, erteilte Schrey viele Aufträge, z. B. bei großen Gerichtsverhandlungen. Außerdem wurde Schrey Schriftführer des Gabelsbergerschen Rheinisch-Westfälischen Stenographenverbandes.
 
Ferdinand Schrey beschäftigte sich auch intensiv mit mehreren anderen Kurzschriftsystemen, vor allem mit Stolze und Faulmann sowie dem englischen System Pitman und dem französischen System Duployé. Pitman wendete er auch im geschäftlichen Bereich bei englischen Texten an. Stolze und Faulmann verwendete er ebenfalls.
 
Seine Erfahrungen als Kurzschriftlehrer und als Praktiker für hohe Geschwindigkeiten sowie die intensive theoretische und praktische Beschäftigung mit anderen Systemen überzeugten ihn von der Notwendigkeit, das System Gabelsberger in eine Unterstufe (Korrespondenzschrift) und in eine Oberstufe (Debattenschrift) einzuteilen, wie er es bereits bei Pitman gesehen hatte. Seine Schüler, die sich als Stenotypisten in seinem Institut ausbilden ließen, hatten zum großen Teil Volksschulbildung. So erkannte Schrey, dass das System Gabelsberger ohne Zweiteilung für diese Schüler zu schwer erlernbar war. Schrey wollte durch die Zweiteilung des Systems Gabelsberger diese Schrift in weite Kreis der Bevölkerung tragen und auch in den Bevölkerungskreisen verbreiten, die keine höhere Schulbildung hatten.
 
Diese Forderung nach einer Unterteilung des Systems Gabelsberger in eine Korrespondenz- und Redeschrift stellte Schrey in den sogenannten „Solinger Thesen“ auf. Zu verstehen ist darunter eine am 3. Juni 1877 stattfindende Tagung des Rheinisch-Westfälischen Stenographenverbandes in Solingen. Schrey war auch gleichzeitig der Schriftführer dieses großen Verbandes. In den „Solinger Thesen“ wies Schrey auch darauf hin, dass die überwiegende Mehrzahl der Stenographen die Schrift nicht erlernt, um praktische Stenographen im eigentlichen Sinne des Wortes zu werden, sondern um Nutzen aus der Schrift im täglichen Leben zu ziehen. Es müsse also danach gestrebt werden, die Schrift mehr als Verkehrsschrift oder als Geschäftsschrift geeignet zu machen. Die von Ferdinand Schrey unter Mitwirkung von Dr. Gantter aufgestellten „Solinger Thesen“ erfuhren zwar die Zustimmung des großen Rheinisch-Westfälischen Verbandes, aber der Deutsche Stenographenbund Gabelsberger lehnte Schreys Forderung entschieden ab. Auch seine weiteren Versuche, die Schule Gabelsberger für eine durchgreifende Vereinfachung der Schrift zu gewinnen, missglückte.
 
Aufgrund dieser Misserfolge begann Schrey, ein eigenes System zu entwerfen, das für die Bedürfnisse der Schule und die Ansprüche der verschiedenen Geschäftsbüros geeignet sein sollte. Ein ganzes Jahrzehnt, seit 1876, hatte sich Schrey mit der Reform der Gabelsbergerschen Schrift abgemüht, aber schließlich erkannt, dass nur eine völlige Neubearbeitung des Systems den Bedürfnissen der Gegenwart genügen könne. Den Entwurf seines neuen Systems teilte er Ende des Jahres 1886 vertraulich einigen Freunden aus der Schule Gabelsberger mit. Darunter waren Dr. Christian Johnen aus Köln, ein junger Gerichtsreferendar und schon zu diesem Zeitpunkt ein sehr angesehener Kurzschrifthistoriker, der später Senatspräsident in Düsseldorf wurde, und Dr. Adolf Socin, Professor an der Universität Basel und Vorsitzender des Gabelsbergerschen Zentralvereins der Schweiz. Diese befreundeten Kurzschrifttheoretiker billigten seine Vorschläge. Im März 1887 ließ Schrey eine vierseitige Systemübersicht drucken, die sogenannten „März-Tafeln“. Auf Vorschlag von Schrey entstand eine Arbeitsgemeinschaft zwischen ihm, Johnen und Socin. Diese Arbeitsgemeinschaft kam in einem umfangreichen Briefwechsel zum Ausdruck, woraus sich schließlich die endgültige Fassung des neuen Systems ergab. Johnen hat nie verhehlt, dass es schließlich doch in der Hauptsache die Schreyschen Vorschläge waren, die sich durchgesetzt hatten. Im September 1887 erschien die umgearbeitete Systemübersicht, die sogenannten „September-Tafeln“, mit dem Titel „Deutsche Kurzschrift (einfache Stenographie nach Gabelsbergers Grundsätzen)“. Im November 1887 folgte das „Lehrbuch der vereinfachten deutschen Stenographie“ (bereits mit der Jahreszahl 1888). Dieses System wurde allgemein „System Schrey“ bezeichnet, hieß aber auch „Vereinfachte deutsche Stenographie von Schrey-Johnen-Socin“.
 
Schrey übernimmt darin die reine Auslautvokalisation Faulmanns und behält alle 11 Selbstlautsinnbilder einschließlich der weiten Verbindung für e bei. Die Tief- und Hochstellung beträgt bei Schrey durchweg eine halbe Stufe. Von Gabelsberger wurden die Einzeiligkeit, die Unter- und Oberlängen, das aufwärts gezogene t, die Punktschlinge als alleiniges Zeichen für l und viele Mitlautformen übernommen. Die Regelmäßigkeit des Wortaufbaus, sehr viele Mitlautzeichen (teils mit anderer Bedeutung), viele Kürzel für Vor- und Schlusssilben sowie das Häkchen stammen von Stolze. Schreys Erfindung, die sechs Mutabeln, das sind bewegliche zweistufige Zeichen für Konsonanten, stehen als Anlaute auf der Grundlinie und als Auslaute eine Stufe tiefer. Diese Mutabeln verkürzen die Bindestriche und erhöhen die Zeilenmäßigkeit, erfordern jedoch zusätzliche Regeln. Die Schwächen der alten Systeme, nämlich eine schlechte Mitlautzeichenauswahl bei Faulmann, Gabelsbergers Variabeln und Stolzes Dreizeiligkeit bei der Vokalisation konnte Schrey vermeiden. Auch auf Gabelsbergers Zeichenverschmelzungen verzichtete er. Das System hatte 37 Kürzel. So ist es gelungen, die Vorzüge der Systeme Gabelsberger, Stolze und Faulmann miteinander zu verschmelzen, ohne aber deren Schwachstellen zu übernehmen. Schrey nutzte die graphischen Vorzüge der Gabelsbergerschen Stenographie sowie die Systematik und den regelmäßigen Aufbau der Stolzeschen Stenographie. Sein Verdienst bestand auch darin, die einheitliche Auslautvokalisation nach Faulmannscher Art in Verbindung mit besseren Konsonantenzeichen angewandt zu haben.
 
Über das System Schrey schreibt Dr. Socin 1890: „Es ist hervorgegangen aus dem Bestreben, den Mangel an Geläufigkeit bei Faulmann, die schwierigen Unterscheidungen bei Stolze, Inkonsequenz und kompliziertes Regelwerk bei Gabelsberger zu vermeiden und die anerkannten Vorzüge des einen Systems mit denen der anderen zu kombinieren.“
 
Noch im Dezember 1887 bildete sich der erste Verein. Eine Reihe bedeutender Männer der Schulen Gabelsberger, Stolze und Faulmann bekannten zu der neuen Schrift Schreys und traten über. Schrey selbst setzte sich mit ganzer Kraft für die Verbreitung ein. 1888 gab er einen kürzer gefassten Lehrgang heraus. Ab 1889 erschien eine Redeschrift, wo er das Verfahren der sogenannten Freien Kürzung Gabelsbergers übernahm und weiter ausbaute. Diese Debattenschrift teilte er in eine Diktatschrift für die Zwecke der Geschäfts- und Diktatstenographie und in die „Freie Kürzung“ für die höheren Anforderungen ein. Eine Systemurkunde für die Schulschrift, also die Unterstufe des Systems, erschien 1891. Die Anhängerschaft dieses neuen Systems wuchs rasch. Überall wurden Vereine gegründet. Die Bedeutung des hervorragenden Systemtheoretikers Johnen vereinigte sich mit der Gewandtheit des tüchtigen Kaufmanns Schrey und brachte es mit sich, dass das System Schrey zum gefährlichen Mitbewerber besonders für die Schule Stolze wurde. Kein anderes System hatte s je in einer solch kurzen Zeit – es bestand ja nur 10 Jahre – zu einer solchen Geltung und Bedeutung gebracht. Aufgrund er Einfachheit und leichten Erlernbarkeit sowie durch die rege Werbetätigkeit Schreys und der Zeitschrift „Die Wacht“ stieg die Zahl der Anhänger so stark, dass die Schule Schrey im Verlauf von sieben Jahren bis 1895 zur drittstärksten deutschen Stenographengemeinschaft heranwuchs. Für die älteren Stenographenverbände Gabelsberger und Stolze wurde sie zu einem beachtenswerten Konkurrenten. Selbst in Österreich und Süddeutschland, wo vorwiegend Gabelsberger geschrieben wurde, hatte das System Schrey fest Fuß gefasst.
 
Übertragungen der Schreyschen Kurzschrift erschienen in holländischer (1891), dänischer (1893), englischer (1894) und französischer (1895) Sprache. Außerdem gab es Übertragungen auf die schwedische, spanische und lateinische Sprache. Die Übertragung des Systems Schrey durch den dänischen Reichstagsstenographen Worm (1893) konnte eine größere Anhängerschar gewinnen. Obwohl in Dänemark das „Gemeinschaftssystem 1932“, das aus Einigungsverhandlungen der Gabelsbergerschen und der Stolze-Schreyschen Schule hervorgegangen war, vor allem in Kopenhagen die Oberhand gewann, konnte sich die Übertragung des Systems Schrey nach wie vor in einigen Gebieten auf dem Land außerhalb der Hauptstadt halten.
 
Als die Zahl der Anhänger des Systems Schrey in etwa die Zahl der Schule Stolze erreichte, kam es nach Einigungsverhandlungen 1897 zu einem Zusammenschluss der beiden Stenographiesysteme Stolze und Schrey. Der Entwurf der „Vereinfachten deutschen Stenographie, Einigungssystem Stolze-Schrey“ wurde am 9. August 1897 in Berlin nach dreitägigen Beratungen angenommen. Das Einigungssystem Stolze-Schrey ist mit dem System Schrey fast identisch. Die wenigen Änderungen sollten der von den Stolzeanern geübten Kritik Rechnung tragen und sollten der Schule Stolze den Übertritt erleichtern. So musste Schrey z. B. die Mutabeln, die beweglichen Konsonantenzeichen, auf deren Erfindung er so stolz war, aufgeben. Der Nachteil dieser Mutabeln waren mehrere Sonderregeln, die den Anfängern die Erlernung des Systems erschwerten. Außerdem erhielt l ein anderes Zeichen, um die Verstärkung der Punktschlinge zu vermeiden. Lediglich für Nachlaut-l wurde die Punktschlinge beibehalten. Die gewölbten Zeichen wurden bis auf eine Ausnahme (m bei Verdopplung) beseitigt. Auch einer Erweiterung der Kürzelliste von 37 auf 77 Kürzel stimmte er zu. Schrey nahm diese und andere Änderungen um der Einheit willen vor. Er gab sich äußerst kompromissbereit. Vom System Stolze blieb im Einigungssystem Stolze-Schrey nicht mehr allzu viel übrig als der Name und der mit ihm unmittelbar verknüpfte Gedanke, dass eine für breitere Kreise bestimmte Gebrauchsschrift nicht nur kurz, sondern auch in ihrem Aufbau regelmäßig und bis in alle Einzelheiten festgelegt sein muss.
 
Das System Stolze-Schrey hatte zunächst noch keine Oberstufe. Es bestanden mehrere verschiedenartige Kürzungsverfahren mehrerer Praktiker nebeneinander. Erst 1912 gelang es, eine einheitliche Urkunde der Debattenschrift durchzusetzen. Namhafte Praktiker hatten bis dorthin auf der Grundlage dieser Schulschrift eine Redeschrift ausgearbeitet und sie in Form von Lehrbüchern vorgelegt. Unter ihnen war auch Schrey. Die Urkunde der Debattenschrift folgte hauptsächlich den Kürzungsgrundsätzen Schreys.
 
Neben den Schulen Schrey, Mittelstolze und Neustolze (Stolze war in mehrere Schulen zersplittert) schlossen sich auch die Stenographiegemeinschaften Velten, Merkes, Buschhorn-Ziemer und einzelne Vereine anderer Systeme dem Einigungssystem Stolze-Schrey an. Dieses System fand dadurch sofort weite Verbreitung und errang in Norddeutschland den ersten Platz. Auch in Gebieten, in denen zuvor Gabelsbergersche Vereine die Vorherrschaft innehatten, vermehrte sich die Zahl der Stolze-Schreyaner ständig. Im deutschsprachigen Teil der Schweiz errang Stolze-Schrey bald ebenfalls die Alleinherrschaft. Das gleiche gilt für die italienische Übertragung im italienischsprachigen Teil der Schweiz. Diese Vormachtstellung in der Schweiz ist bis heute geblieben. Stolze-Schrey war in Deutschland vom Gründungsjahr 1897 an bis zur Einführung der Deutschen Einheitskurzschrift die zweitgrößte Stenographengemeinschaft nach Gabelsberger.
 
Nach Schaffung der DEK 1924 stellte sich Ferdinand Schrey zunächst als Autor und Verleger in den Dienst der Einheitskurzschrift, ohne aber die Verbindung zur Schule Stolze-Schrey aufzugeben. Nach und nach verlor er jedoch die Führung seiner Stenographengemeinschaft Stolze-Schrey und damit auch den Einfluss auf die weitere stenographische Entwicklung. Auch war es sein Schicksal, dass er alle seine bedeutenden Mitarbeiter aus der Blütezeit der Schreyschen und Stolze-Schreyschen Schule überlebte und somit seine früheren treuen Weggefährten immer weniger wurden. Etliche namhafte frühere Mitstreiter für Schreys System traten außerdem zwischenzeitlich für die Einheitskurzschrift ein wie z. B. Dr. Eugen Gantter. Die neue Einheitskurzschrift hat aber um Grunde genommen Schreys Billigung nicht gefunden, auch wenn er zahlreiche Lehrmittel in der DEK verfasste und verlegte.
 
Ferdinand Schrey war bis zu seinem letzten Atemzug systemtheoretisch und systemschöpferisch tätig, um nach seiner Meinung Besseres und Vollkommeneres als die Einheitskurzschrift auszudenken. Im Jahre 1928 wandte er sich im hohen Alter von 78 Jahren von allem ab, was er bisher gelehrt und geschaffen hatte und trat während der letzten 10 Jahre seines Lebens für seine „Volksverkehrskurzschrift“ (VVK) ein, in der er die letzte Vollendung der stenographischen Entwicklung sah. Dieses 1928 veröffentlichte System hatte das selbstlautschreibende System von Karl Scheithauer (1873 – 1962) zur Grundlage, das Schrey abänderte. Scheithauer war einmal ein Schüler von Schrey und als junger Mann von 1891 bis 1894 auch in Schreys Schreibmaschinenvertrieb in Berlin angestellt. Schrey glaubte, dass seine neue Schrift, die eine Abkehr von seinen früheren Grundsätzen darstellte, die Einheitskurzschrift des deutschen Volkes werden könne und besser sei als die DEK, weil sie an Einfachheit, Deutlichkeit und Kürze nicht überbietbar sei. In dieser „Volksverkehrskurzschrift“ gab Schrey die Grundlagen der Gabelsbergerschen und Faulmannschen Schrift und damit folglich auch die Grundlagen seiner eigen Schriften von 1887 und 1897 auf. Sein Bestreben war es, dieses selbstlautschreibende System von Scheithauer zu vervollkommnen und zu einer Volkskurzschrift auszubauen. 1929 nahm er weitere Änderungen vor. Im Jahre 1932 nannte er das System „Volkskurzschrift Schrey“ (VKS), später auf behördliche Anweisung „Verkehrskurzschrift Schrey“ (ebenfalls VKS). 1935 fügte er 21 Kürzel hinzu. Vorher war das System wie auch Scheithauers Ausgangssystem kürzellos.
 
Auch zu dieser VVK bzw. VKS gab er eine Zeitschrift heraus und gründete einen Verband. Das System fand in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit große Beachtung und auch eine Anzahl Anhänger. Nach der Machtübernahme 1933 durch die Nationalsozialisten verschwanden die Zeitschriften, die andere Systeme vertreten hatten als die Einheitskurzschrift. Nur dem hochbetagten Ferdinand Schrey beließ man seine „Neuwacht“ bis zu seinem Tode. Er durfte sogar weiterhin für seine „Verkehrskurzschrift Schrey“ eintreten. Man hatte Achtung vor dem Lebenswerk dieses hochbetagten Mannes und vor seiner Person – wenigstens zu seinen Lebzeiten. Sobald er jedoch gestorben war, wurde die „Neuwacht“ verboten und jede Werbung für Schreys Schrift unterbunden.
 
Wir als Stenografen und Freunde der Stenografen wollen die Person Ferdinand Schrey und sein unvergleichliches Lebenswerk nicht vergessen! Von seiner ersten Kurzschriftstunde im Jahre 1874 bis zu seinem Tode 1938 – also 64 lange Jahre – trat Ferdinand Schrey unermüdlich für die Kurzschrift ein. Dies geschah als Systemtheoretiker, als Praktiker in sehr hohen Geschwindigkeiten, als Führungspersönlichkeit im Verbandswesen, als Kurzschriftlehrer, als Autor und Verleger eines sehr umfangreichen stenografischen Schrifttums und vor allem als Erfinder verschiedener Kurzschriftsysteme. Es wird wohl weltweit kaum einen weiteren Stenografie-Systemerfinder geben, der auf so vielen stenografischen Gebieten auf so vielfältige Weise über sechs Jahrzehnte lang für die Stenografie tätig war.
 
Es lebe die Kurzschrift! Es lebe der unvergessliche Ferdinand Schrey!
 
 
Literatur
 
·        Alge, Sines, u. a.: Geschichte der Stenographie in der Deutschen Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung des Allgemeinen Schweizerischen Stenographenvereins, Wetzikon 1909
 
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·        Brunner, Heinrich: Geschichte der Stenographie in der Schweiz. Gedenkschrift zum hundertjährigen Bestehen des Allgemeinen Schweizerischen Stenographenvereins (Zentralverein Stolze-Schrey), Wetzikon 1964
 
·        David, Fritz: Ausführliche Zeittafeln zur Geschichte der Stenographie, Dresden 1922, 2. Auflage
 
·        Johnen, Christian: Allgemeine Geschichte der Kurzschrift. Dritte, veränderte und bis Ende 1927 durchgeführte Auflage, Berlin 1928, 3. Auflage
 
·        Ders.: Allgemeine Geschichte der Kurzschrift. Zweite, neubearbeitete Auflage der „Kurzgefaßten Geschichte der Stenographie“ (1917), zugleich zweiter Band der Geschichte der Stenographie im Zusammenhang mit allgemeinen Entwicklung der Schrift und der Schriftkürzung, Berlin 1924
 
·        Ders.: Wilhelm Stolze und die Entwicklung seiner Schrift. Mit besonderer Berücksichtigung des Einigungssystems Stolze-Schrey, Berlin 1899
 
·        Jülich, Bernhard: Katechismus für den Kurzschriftlehrer. Fragen und Antworten zur Selbstprüfung, zur Vertiefung der Systemkenntnis und zur Vorbereitung auf die Kurzschriftlehrerprüfung, Wolfenbüttel 1948
 
·        Kaden, Walter: Neue Geschichte der Stenographie. Von der Entstehung der Schrift bis zur Stenographie der Gegenwart, Dresden 1999
 
·        Ders.: Universal-Handbuch Stenographie, Dresden 1999
 
·        Keller, Jakob, u. a.: Festgabe zum hundertjährigen Bestehen des Allgemeinen Schweizerischen Stenographenvereins 1859 – 1959, Wetzikon 1959
 
·        Küttner, Herbert: Ferdinand Schrey vor 150 Jahren geboren, in: Deutsche Stenografen-Zeitung 3/2000, S. 94 – 96
·        Mentz, Arthur: Geschichte der Kurzschrift, Wolfenbüttel 1949
 
·        Ders., u. a.: Geschichte der Kurzschrift, Wolfenbüttel 1981, 3. Auflage
 
·        Moser, Franz, u. a.: Lebendige Kurzschriftgeschichte. Ein Führer durch Kurzschriftlehre und Kurzschriftgeschichte, Darmstadt 1990, 9. Auflage
 
·        Sander-Jaenicke, Beate, u. a.: Art und Bau der wichtigsten Kurzschriften. Ratgeber zur Kurzschriftgeschichte, Darmstadt 1988, 5. Auflage
 
·        Schneider, Laurenz, u. a.: Geschichte der deutschen Kurzschrift, Wolfenbüttel 1936
 
·        Schrey, Ferdinand: Erinnerungen, in: Festschrift zur Gedenkveranstaltung vom 14. bis 16. Juli 2000 in Berlin anläßlich der 150. Wiederkehr seines Geburtstages. Sonderausgabe der Stolze-Schrey-Post (3/2000), S. 9 - 20
 
 
 
  
 


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